EuGH zur internationalen Zuständigkeit im B2C-Verkehr: Auf Ausland ausgerichtete Website muss nicht kausal sein für Vertragsabschluss


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Ein Verbraucher kann vor den Gerichten an seinem Wohnsitz gegen einen ausländischen Gewerbetreibenden Klage erheben, wenn erwiesen ist, dass der Gewerbetreibende seine Tätigkeiten auf den Staat des Verbrauchers ausgerichtet hat. Dies gilt gemäss einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) selbst dann, wenn das zum Ausrichten dieser Tätigkeiten eingesetzte Mittel (z.B. eine Webseite) für den Vertragsschluss nicht kausal war. Ist also bspw. eine Website eines Anbieters auf Deutschland ausgerichtet, kann ein deutscher Verbraucher auch dann vor den deutschen Gerichten klagen, wenn er den Vertrag im Offline-Verkaufspunkt des Anbieters in Frankreich abschliesst und gar keine Kenntnis von der Website hatte. Der Entscheid macht einmal mehr deutlich, dass sich beim grenzüberschreitenden Handel eine Ausrichtung auf andere Länder leider kaum noch vermeiden lässt.

Hintergrund: Kauf eines Gebrauchtwagens in Frankreich durch deutschen Kunden

Der Gerichtshof hatte sich mit dem folgenden Sachverhalt auseinanderzusetzen: Vlado Sabranovic war Inhaber eines Gebrauchtwagenhandelsunternehmen mit Sitz in Spichern, einem französischen Ort nahe der deutschen Grenze. Er betrieb zu diesem Zweck auch eine Webseite, auf welcher nähere Informationen über sein Unternehmen zu finden waren, namentlich eine französische und eine deutsche Telefonnummer, jeweils mit internationaler Vorwahl.

Lokman Emrek, ein Kunde mit Wohnsitz im deutschen Saarbrücken, schloss mit Sabranovic einen Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen ab. Emrek war zuvor durch Bekannte – und nicht über die Website – auf das französische Unternehmen aufmerksam geworden.

Klage vor den deutschen Gerichten

In der Folge klagte der Käufer vor den Saarbrücker Gerichten und machte gegenüber Sabranovic Gewährleistungsansprüche geltend. Den Gerichten stellte sich als erstes die Frage, ob sie für die Beurteilung der Angelegenheit überhaupt zuständig waren. Die erste Instanz, das Amtsgericht, wies die Klage wegen Unzuständigkeit zurück. Emrek legte gegen diesen Entscheid Berufung ein. Das dafür zuständige Landgericht war zwar grundsätzlich der Ansicht, dass die gewerbliche Tätigkeit des Verkäufers auf Deutschland ausgerichtet war. Zur Klärung der Vorgaben des EU-Rechts unterbreitete das Gericht jedoch den Rechtsstreit dem EuGH.

Ausrichtung auch relevant, wenn Webseite nicht verwendet wird?

Grundsätzlich gilt gemäss Art. 15 der sog. Brüssel-1-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 44/2011), dass die Ausrichtung einer Website auf Verbraucher in anderen EU-Mitgliedstaaten zur Zuständigkeit der ausländischen Gerichte führt. Damit verbunden ist meist auch die Anwendbarkeit der jeweiligen Verbraucherschutzvorschriften dieses Staats (vgl. dazu BR-News vom 15.12.2010, 12.09.2012 und 24.10.2012). Mit anderen Worten sind die Gerichte im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers immer dann für Klagen zuständig, wenn sich der ihm gegenüber stehende Gewerbetreibende auf irgendeinem Weg auf diesen Mitgliedstaat ausrichtet.

Der Gerichtshof hatte bereits vor einigen Jahren entschieden, dass namentlich die Angabe von Telefonnummern mit einer internationalen Vorwahl ein Indiz für die Ausrichtung einer Webseite auf einen fremden Staat sein kann (vgl. BR-News vom 15.12.2010). Die Frage, ob die Website von Sabranovic auch auf Kunden aus Deutschland ausgerichtet ist, bejahte das Landgericht wohl unter anderem aus diesem Grund.

Ebenfalls bereits in einem früheren Entscheid geklärt hatte der EuGH, dass ein Vertragsschluss im Fernabsatz nicht Bedingung für die Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Verbrauchers ist. Ist die Ausrichtung gegeben, kommt es folglich nicht mehr darauf an, ob der Vertrag im Online-Shop des Verkäufers oder in dessen Ladengeschäft ausserhalb des Wohnsitzstaats des Verbrauchers abgeschlossen wurde. Die „Aufnahme von Fernkontakt“ und der „Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernkontakt“ sind jedoch gemäss EuGH zumindest Indizien, die für eine Ausrichtung sprechen können (vgl. BR-News vom 12.09.2012).

Da die Beurteilung der Ausrichtung dem nationalen Gericht obliegt, äusserte sich der EuGH nicht weiter dazu. Von ihm zu entscheiden war im vorliegenden Fall lediglich, ob die Zuständigkeit der Gerichte im Wohnsitzstaat des Verbrauchers voraussetzt, dass das Mittel der Ausrichtung (vorliegend die Website) des Gewerbetreibenden für den konkreten Vertragsschluss mit dem Kunden zumindest kausal ist, oder ob die Zuständigkeit dann nicht gegeben ist, wenn ein Verbraucher unabhängig vom Mittel der Ausrichtung (d.h. ohne Kenntnisnahme der Website) einen Vertrag mit einem Unternehmer abschliesst.

Kausalität zwischen Ausrichtungsmittel und Vertragsschluss muss nicht gegeben sein

In seinem Urteil (C-218/12) gelangt der Gerichtshof zum Schluss, dass eine Kausalität zwischen dem Mittel der Ausrichtung und dem Vertragsschluss nicht erforderlich ist. Bereits der Wortlaut der massgebenden Bestimmung verlange keine solche Kausalität. Gemäss EuGH würde eine solche Anforderung darüber hinaus aber auch dem Zweck der Bestimmung zuwiderlaufen. Denn das Erfordernis der vorherigen Konsultierung einer Website durch den Verbraucher könnte für diesen Beweisschwierigkeiten mit sich bringen. Dies gelte insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Vertrag nicht im Fernabsatz (über diese Website) geschlossen worden ist. Da die Kausalität zwischen dem zum Ausrichten der Tätigkeit eingesetzten Mittel und dem Vertragsschluss nur schwer zu beweisen ist, könnten diese Beweisschwierigkeiten die Verbraucher davon abhalten, vor ihren nationalen Gerichten zu klagen. Nach Meinung des EuGH würde dies zu einer Schwächung des mit dieser Regelung angestrebten Verbraucherschutzes führen.

Der Gerichtshof ergänzte aber, dass der fehlende Kausalzusammenhang, selbst wenn er keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmung sei, dennoch ein Anhaltspunkt sein könne, den die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Ausrichtung auf ausländische Mitgliedsstaaten berücksichtigen können. Das Landgericht habe deshalb unter Gesamtwürdigung der Umstände zu entscheiden, ob die für den Verbraucher günstige besondere Zuständigkeit gegeben ist.

Kommentar

Das aktuelle Urteil des EuGH verdeutlicht einmal mehr, dass das Risiko für Online-Anbieter, vor ausländischen Gerichten sowie unter einem fremdem Recht verklagt zu werden, relativ hoch ist. Anbieter, die auch Geschäfte mit ausländischen Verbrauchern abschliessen möchten, stehen deshalb vor allem im Online-Handel vor einer schwierigen Ausgangslage.

Online-Händler hätten zwar grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Angebote so auszugestalten, dass sie auch dem ausländischen Recht derjenigen Staaten entsprechen, auf die sie ausgerichtet sind. Doch die dazu erforderlichen Investitionen schrecken, trotz der mit einer entsprechenden Erweiterung des potentiellen Kundenkreises verbundenen Chancen, vor allem kleinere Unternehmen von diesem Schritt ab.

Als Alternative müsste es möglich sein, die Angebote so auszugestalten, dass daraus keine Ausrichtung auf ausländische Staaten hervorgeht. Angesichts der hohen Anforderungen, welche die sich aktuell entwickelnde Rechtsprechung hierfür aufgestellt hat, erweist sich diese Option aber als sehr schwierig. Vor diesem Hintergrund beschränken nach wie vor viele vor allem kleinere Unternehmen ihr Angebot auf den einheimischen Markt und verzichten auf den Cross-Border-Handel. Wenn es aber für die Ausrichtung darauf ankommt, ob sich ein Händler gezielt an ausländische Kunden richtet, geht es zu weit, wenn im Ergebnis nur dann keine Ausrichtung vorliegen soll, wenn der Händler Lieferungen ins Ausland kategorisch ausschliesst. Es kann nicht sein, dass dem Händler nur die Möglichkeit bleibt, entweder Lieferungen ins Ausland ganz bleiben zu lassen – d.h. auch passive Kundenanfragen ablehnen zu müssen, oder sich an das Recht des jeweiligen Mitgliedstaates anzupassen.

Auch wenn die Regelung nachvollziehbar erscheinen und deren Interpretation durch die Gerichte aus juristischer Sicht zutreffend sein mag, führt sie u.E. immer mehr zum Widerspruch mit einem anderen wichtigen Ziel der Wettbewerbspolitik, dem sich die Gesetzgeber in der EU und der Schweiz verschrieben haben: der Förderung des Handels unter den EU-Mitgliedsstaaten und zwischen der EU und der Schweiz. Bei der kartellrechtlichen Behandlung der vertraglichen Gestaltung des Internetvertriebs werden vom EuGH immer wieder die wettbewerbsfördernden Auswirkungen des Cross-Border-E-Commerce und damit die Wichtigkeit des Verbots von Vertriebsbeschränkungen betont. Dass die sich zur Frage der Ausrichtung entwickelnde Rechtsprechung der europäischen Gerichte die Entwicklung des Cross-Border-E-Commerce massiv behindert, ist offensichtlich. Daran wird auch die fortschreitende Harmonisierung des relevanten Rechts innerhalb der EU nichts ändern, solange man sich nicht auf das sog. Herkunftslandsprinzip einigt. Gemäss diesem Prinzip wäre das Angebot eines Online-Shops in der ganzen EU rechtskonform, solange es allen Voraussetzungen des Herkunfts- oder Sitzlandes des Anbieters entspricht.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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